Interview
(Pater) Willi Lambert, Sie arbeiten seit (30) Jahren im geistlichen Bereich; Sie waren in Rom in der Ausbildung von Priestern tätig, haben lange Jahre in der „Gemeinschaft Christlichen Lebens“ (GCL) mitgearbeitet und sind von München aus auf vielfältige Weise im Bereich der Spiritualität tätig.
Wie sehen Sie die Entwicklung in unserer Gesellschaft in bezug auf geistige Werte ? Was hat sich in den letzten 10 Jahren verändert ?
Ich sehe gegenüber der Zeit vor 10 Jahren nicht wesentlich neue Entwicklungen, eher eine Beschleunigung und Dramatisierung von Bewegungen, die schon länger im Gang sind. Diese sind in sich selber zwiespältig, d.h. gefährlich und zugleich eröffnen sie auch Möglichkeiten: Die Bedeutung des Individuums bis zum Egoismus und Narzißmus; die Schnelligkeit bis zu Hektik und negativem Stress; Wachstum bis zu krebsartigem Wuchern; Informationsmöglichkeiten bis zur Überflutung; Fülle von Angeboten bis zur verwirrenden Unübersichtlichkeit; Pluralismus bis zur Belanglosigkeit und Beliebigkeit; Emotionalität bis zur Süchtigkeit; Intellektualität bis zur Herzlosigkeit; Konsumhaltung bis zur Süchtigkeit; Freiheitlichkeit zwischen Selbstverwirklichung und, wie Paulus sagt, "Deckmantel der Bosheit“.- In allem liegen zunächst wachsende Möglichkeiten, die aber durch die Übersteigerung zur Selbstvernichtung führen.
Spiritualität ist auch ein Modewort...Genügt es nicht, zu glauben ?
Ja, es "genügt“ zu glauben, wenn hinzugefügt wird, dass es darum geht, den Glauben zu leben. Oder anders gesagt: Wir glauben nicht nur irgendetwas oder irgendwie. Wir leben einen Glauben, der auf die Liebe hofft - wie sie in Jesus Christus und seinem Evangelium uns sich schenkt und zeigt.
In der Konferenz, die Sie am 12. Oktober in Luxemburg halten werden, geht es um Spiritualität für den Alltag. Der Alltag vieler Zeitgenossen ist von Stress und Hektik geprägt; oft wünschen sich die Menschen, ihrem Alltag zu entfliehen...
Ja, Hektik und Stress, Flucht und Sucht sind Kennzeichen unserer Zeit. Die Formulierung „Wir wissen zwar nicht wohin, dafür sind wir umso schneller dort“ ist ein Ausdruck dafür. Der Prophet Jesaja sagt dazu:“Nur in Umkehr und Ruhe liegt eure Rettung, nur Stille und Vertrauen verleihen euch Kraft. Dich ihr habt nicht gewollt, sondern gesagt: Nein auf Rossen wollen wir dahinfliegen. Darum sollt ihr jetzt fliehen.“ (Jes Jes 30, 15 f.).
Als Jesuit fühlen Sie sich ihrem Ordensgründer Ignatius von Loyola verbunden, der vor rund 500 Jahren die geistlichen Übungen verfasst hat. Sind seine Inhalte noch zeitgemäss ?
Natürlich bedarf es einer Übersetzung der Sprache eines Menschen des 15./16. Jahrhunderts in unsere Zeit hinein; so wie auch die Heilige Schrift immer neu im „Jetzt“ geboren werden muss. Aber dann gilt ein klares“Ja“! Ignatius ist auch für heute ein Meister der Spiritualität, ein guter Wegbegleiter.
Vor allem deshalb, weil er auf hilfreiche und konkrete Weise wichtige Thematiken unserer Zeit und Situation aufgreift. Ignatianische Stichworte dafür sind: „Sein Leben ordnen“,“liebevolle Ehrfurcht“ vor allem vor dem Weg der einzelnen Person, Liebe als Partizipieren und Kommunzieren, Entscheidugnsprozesse aus innerer Freiheit (Indifferenz) heraus, kontemplative Grundhaltung in der Aktivität, "Gott in allem suchen und finden“.
Übungen...üben... hat wohl eher einen negativen Beigeschmack. Passt das zu Spiritualität ?
Es gibt keine Spiritualität, die Leben gestaltet, ohne Üben. Bestes Beispiel dafür ist vielleicht der Buchtitel des Bestsellers von Erich Fromm "Die Kunst des Liebens“. Er gibt als Hauptgrund für das Scheitern vieler Liebesbeziehungen an, dass Verliebtheit mit Liebe verwechselt werde. Liebe braucht nach seiner Erfahrung Aufmerksamkeit und Üben - wie jede Kunst. Sprache, Handwerk, Kommunikation usw. - nichts gibt es ohne Üben, d.h. Askese.
„Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“,“Aus Liebe zur Wirklichkeit“ sind Titel, die Sie für zwei von ihrem Büchern ausgewählt haben. Was fasziniert Sie an dem Wort "Wirklichkeit“ ? (Ist die Wirklichkeit nicht oft vor allem grausam und gottlos ?)
An dem Wort Wirklichkeit fasziniert mich die Wirklichkeit, was so viel bedeutet wie: Spiritualität ist kein luftiges Gedankengebilde, keine bloße Träumerei, keine Ideologie, sondern „Fleisch“. So wie es von Jesus heißt:“Und das Wort ist Fleisch geworden“. - Sicher ist es so, dass die "Umarmung durch die Wirklichkeit“ manchmal heftig ist, aber ebenso auch zart und liebevoll. Ignatius gebraucht selber einmal als Bildwort für das Geschehen in den Exerzitien die Formulierung: “Sich von Gott in Liebe umarmen lassen.“.
"Exerzitien im Alltag“ werden im deutschsprachige n Raum seit Jahren in vielen Pfarreien und Gruppen angeboten. Worin sehen Sie Chance dieser Form von geistlichen Übungen ?
Die Chancen von Exerzitien im Alltag sind vielfach und können von Zehntausenden von Menschen bezeugt werden: Sie geschehen in unmittelbarer Nähe zum Alltagserleben. Man kann in ihnen sehr unmittelbar die Spur der "Mystik des Alltags“ (Karl Rahner) zu gehen versuchen. Und für manche gilt auch: Man muss nicht in einem teuren Bildungshaus viel Geld bezahlen. Freilich entfalten Exerzitien in einem abgelegenen Exerzitienhaus und mit einem täglichen Einzelgespräch eine eigene Kraft und manche entdecken dies gerade in Exerzitien im Alltag darauf.
Willi Lambert SJ
München St. Michael
21. September 2005
Die Fragen stellte Christiane Kremer-Hoffmann